Dienstag, 9. Oktober 2007

Die Intensiv(e)Station in Agra

Endlich war es soweit und Leonie und ich wollten die seit langem geplante Agra-Reise zum Taj Mahal und sonstigen Sehenswürdigkeiten antreten. Wir entschieden uns für die unorganisierte Variante mit dem Zug. Wir trafen überpünktlich um 5:45 h an der New Delhi Train Station ein und erwischten somit unseren Zug um 6:15 h ohne Hetze und völlig entspannt. Es gab eine kleine Mahlzeit und daher verlief die zweieinviertelstündige Reise sehr angenehm. Welch entspannter Anfang - sollte man meinen.
Wir kamen an und buchten sogleich entgegen unserer eigentlichen Planungen ein Rückfahrtticket, da wir doch keine Lust hatten in der recht ahnsehnlichen aber kleinen Stadt zu übernachten.
Der erste Eindruck war, dass man (wie in einschlägigen Reiseführern erwähnt) von hunderttausend Taxifahrern und Schleppern überrannt wird. Aber diese ließen wir mittlerweile erfahren hinter uns und mieteten einen Kulturstättenbesichtigungsrikshawfahrer für Rs. 400,- pro Nase. Dieser fuhr uns zu den wichtigsten kulturellen Stätten der überschaubaren Stadt Agra. Wir sahen das Agra Fort, das Mini-Taj Mahal und die Rückseite des Taj Mahal - eines Mitgliedes der neuen „sieben Weltwunder“. Bereits hier merkte ich, dass ich meine gerade überwundene Magen- und Darmgrippe wohl doch noch nicht ganz überwunden hatte. Wir beschlossen uns in einem Café in der Nähe niederzulassen und ein wenig Kraft für den abendlichen Taj Mahal-Besuch zu sammeln. Leider wurde mein Zustand nicht besser und ich merkte, dass ich Fieber hatte. Wir beschlossen einen Schnellbesuch im Taj Mahal und darauf folgend eine Umbuchung des Tickets und eine möglichst schnelle Rückkehr.
Das Taj Mahal war sehr faszinierend, obwohl ich mir sicher bin, dass ich ob des Fiebers ein anderes Bauwerk als Leonie gesehen habe.
Die Umbuchung übernahm großzügigerweise Leonie, da ich mich mittlerweile nicht zu mehr in der Lage sah, als herumzuvegetieren und möglichst viel Wasser zu trinken.
Wie schon öfters erwähnt nehmen manche Dinge in Indien mehr Zeit ein als anderswo. Wer hätte aber gedacht, dass die Bahnarbeiter sogar unsere Schalterkräfte bei der DB an Langsamkeit übertreffen? Aber meine kleine Freundin nahm auch diese zermürbende Aktivität mit unschlagbarer Gelassenheit hin.
Mir ging es derweil immer schlechter und ich hatte mich vor die Bahnstation begeben, da meine Arme von starken Krämpfen heimgesucht wurden und mir das Atmen und sprechen schwer viel. Es hatte sich eine Indien gerecht werdende Menschenmasse um mich versammelt. Diese versuchte hektisch den von mir lautstark geforderten Arzt herbeizurufen und Leonie zu alarmieren. Schwierig wenn einem die Zunge die Aussprache des Buchstabens „L“ verweigert. Aber „a girl from Germany“ kam mit einigen Anstrengungen zum Glück doch noch über meine Lippen.
Als Leonie herbeigeeilt war ging es dann auch gleich mit dem Taxi in das nahe gelegene „Krankenhaus“ auf die „intensive care unit“ und zwar quer auf der Rückbank liegend. Für den Taxifahrer sicherlich das Ereignis des Tages. Ich war zwar kein Fahrgast, der ins Taxi springt und: „folgen Sie dem grünen Wagen da vorne“ brüllt, aber laut war ich auch. Beruhigend war, dass niemand im Krankenhaus als Arzt zu identifizieren war. Putzfrau und die Krankenpfleger sahen alle gleich aus. Wer mich kennt weiß, dass ich eine gewisse Abneigung gegen Dinge habe, die in mich gestochen werden um entweder Flüssigkeit aus mir zu entwenden oder Dinge in meinen Körper zu verbringen. Oder einfach ausgedrückt: ICH HASSE JEGLICHE FORM VON SPRITZEN.
Daher wies ich die mittlerweile aufgetauchte junge Ärztin an mir irgendwelche Schmerztabletten einzuflössen - egal welche, anstatt mich irgendwie anzupieksen. Die nächste Überraschung war, dass Leonie die Medikation selbst aus der Apotheke holen sollte - das übernahm dann aber doch zum Glück der Taxifahrer, der heldenhaft im Krankenhaus geblieben war. Die Tabletten waren extrem lecker, zeigten allerdings keine Wirkung. Also entschied ich mich heldenhaft mir doch einen Zugang legen zu lassen, da die Schmerzen mittlerweile fast bewusstseinsraubend waren. Mittlerweile war ich dann auch schon an das EKG angeschlossen und hatte Muskelentspannungsmittel in den Allerwertesten gespritzt bekommen. Sehr hilfreich war das niemand der englischen Sprache mächtig war. So verstand niemand meine doch sehr deutliche Aufforderung: „Get me a §$%$’* doctor with a pain killer “. (die verschiedenen Symbole können durch ein beliebiges englisches Wort der unverblümteren Art, das mein Anliegen verdeutlichen sollte ersetzt werden - ich habe sie alle ausprobiert - leider ohne Erfolg)
Schließlich schliff Leonie die Ärztin aus ihrer Sprechstunde, um mir Linderung in Form von Injektionen zu bringen.
Später kam der Chefarzt und Eigentümer der Klinik, um sich auch ein Bild der Situation zu machen. Er verordnete weitere Infusionen, die - wie sich später herausstellte - durchaus kritischere Situationen hätten erzeugen können. Außerdem verbesserte er unsere Stimmung indem er einen Verdacht auf Malaria äußerte. Zumindest versuchte er seine Hypothese mit den notwendigen Bluttests zu festigen. Wenigstens eine kompetente Entscheidung an diesem schönen Abend. Leider viel er im weiteren Verlauf nur durch eine abwertende und lächerlich machende Attitüde gegenüber Leonie auf.
Die Schmerzmittel in Kombination mit einer einfachen Plastiktüte als Atemmaske (zum Glück war uns bewusst, dass man eine Hyperventilation mit den verbundenen Symptomen so stoppen beziehungsweise lindern kann) brachten nach drei Stunden dann endlich die ersehnte Schmerzfreiheit. Dass unser Arzt des Misstrauens diese Methode mit einem lauten Lachen würdigte möchte ich nur am Rande erwähnen. Schade ist einfach nur, dass das Krankenhauspersonal sofort Männchen machte, als ihr Star-Mediziner die Bühne betrat und somit unsere eigene Behandlungsmethode erst nach Gewaltandrohung unterstützte. Eigentlich waren noch weitere Tests mit mir vorgesehen. Das Röntgenbild meiner Brust ließen wir noch durchgehen, allerdings waren auf dem Bild dann auch die Innereien der Umstehenden abgebildet. In Agra wird das Röntgen nämlich gleich im Bett als Gruppenphoto erledigt. Wir ließen noch die letzte Infusion durchlaufen und entschieden uns die 200 km nach Delhi mit dem Taxi zurückzulegen. Weitere Tests wollte ich nicht über mich ergehen lassen, da mir doch bewusst war, dass ich wegen meiner indischen Kontakte Zugang zu richtigen Ärzten in Delhi haben würde. Ein Tag mit einem überheblichen Medizinmann hatte uns gereicht. Außerdem fühlte ich mich transportfähig. Wer die dreckige Intensivstation mit der Todeskandidatin zu meiner Rechten gesehen hätte, würde mich verstehen. Es gibt mir kein gutes Gefühl, wenn man Kanülen und Medikamente selbst aus der Apotheke besorgen muss, um dann erstmal die Nadeln augenscheinlich auf Sterilität zu untersuchen.
Blieb nur noch dieses Wort „Malaria“ das uns im Kopf umherschwirrte. Leider konnte uns niemand Auskunft über die Tests geben - es war kein Arzt mehr zugegen respektive die Ergebnisse waren nur gegen Bezahlung der Krankenhausgebühr ersichtlich. Da unsere flüssigen finanziellen Mittel aufgrund der bisher erstandenen Kosten gen Null strebten und das Krankenhaus wider Erwarten (haha) keine Kreditkarten akzeptierte war erstmal ein Besuch bei der nächsten ATM nötig. Gütigerweise ließ dann der Krankenhausmanager (!!!) dann doch mit den Untersuchungsergebnissen in der Hand durchsickern, dass es sich nicht um Malaria handelte.
Nach der Nummer packten wir dann nur noch schnell unsere Sachen, holten Geld und Leonie organisierte geistesgegenwärtig noch schnell in der „bitte einmal Alles Manier“ bei Pizza Hut eine kleine Wegzehrung. Zumindest hatten wir so für den nächsten Tag eine volle Mahlzeit für eine ausgehungerte Handballtruppe, denn mein Appetit war noch eher beschränkt.
Vier Stunden später kamen wir völlig erschöpft im Hotel an.

Fazit:
1) Agra vergesse ich nicht
2) Ohne Leonie wäre ich wohl gleich im Zinksarg nach Hause gekommen
3) Humor ist wenn man trotzdem lacht
4) Kein schlechtes Wort über das deutsche Gesundheitssystem in meiner Gegenwart

1 Kommentar:

Tim hat gesagt…

Schön, dass es Dir wieder besser geht und der Malariaverdacht sich nicht bestätigt hat. Alles Gute weiterhin, Tim